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2.  Glauben und Vernunft, Autorität und Selbstdenken

Für den Evolutionsbiologen Richard Dawkins ist Religion bloßer Blödsinn. Das erklärt aber nicht, warum die Menschen bis zum 18. Jahrhundert ihre Welt als Ganzes mit religiösen Begriffen erklärt haben. Da sie überlebt haben, kann eine religiöse Erklärung – bei allen Auswüchsen – nicht nur Opium sein, das wird sie erst im 19. Jahrhundert, als das rationale Denken sie allmählich verdrängt. So ist auch die Gottesvorstellung, der Abaelard huldigt, keine bloße irrationale Fiktion, sondern im Gottesbegriff drückt sich eine entfremdete Gestalt des menschlichen Selbstbewusstseins aus.

Für die vorherrschende neuplatonische Philosophie war der göttliche Geist „reines Sichaufsichbeziehen“, dadurch war er - rational gedeutet – der „Inbegriff eines autonomen Selbstbewußtseins, das allen empirischen Subjekten als Maßstab diente, aber dessen fraglose Verbindlichkeit mußte sich in dem Maße auflösen, wie die Realität der Einzeldinge sich dem Bewusstsein aufdrängte.“ (Mensching: Moralität, S. 427) Für Abaelard, bei dem die nominalistische Erkenntnis erwacht, dass der Mensch die Begriffe selbst macht, sie nicht einfach durch göttliche Schöpfung, den göttlichen Logos, vorgegeben und in der Welt inkarniert sind, für Abaelard, der die menschliche Leistung bei der Bestimmung der Dinge erkannt hat, kann nicht der bloße Glaube für unser Wissen und Handeln ausschlaggebend sein (wie es bei heutigen Religionen nach der Formel: credo quia absurdum, der Fall ist). Galt für viele im 12. Jahrhundert: „Der Glaube hat kein Verdienst, dem die menschliche Vernunft Beweiskraft verleiht“ (zitiert nach Abaelard: Gespräch, S. 115), so argumentiert Abaelard dagegen: Wenn nicht die Vernunft über dem Glauben urteilen kann, dann gäbe es kein Kriterium, zwischen wahren Glauben und Scharlatanerie zu unterscheiden.

„Mag ein Götzendiener von einem Stein oder Holz oder einem beliebigen Geschöpf sagen: dies ist der wahre Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde; oder mag einer irgendeinen offenkundigen Greuel verkünden: wer wird fähig sein, ihn zu widerlegen, wenn über den Glauben nicht mit Vernunft erörtert werden dürfte?“ (A.a.O., S. 115 f.) Gegen die Autoritäten (damals die Kirchenväter – heute der missverstandene Marx und der richtig verstandene Lenin) und den geforderten Glauben an sie vertraut Abaelard auf die eigene Denkkraft. „Diese Autorität – so schätzt man sie ein – habe in jeder philosophischen Disputation den letzten oder gar keinen Rang, so daß jene Argumente, die sich aus einem vorgefundenen Urteil, d.h. aus einer Autorität, herleiten lassen, abzuleiten jene durch und durch beschämt, die auf ihre eigenen Kräfte vertrauen und deshalb die Zuflucht bei fremder Hilfe für unwürdig halten.“ (A.a.O., S. 119) Und an anderer Stelle sagt Abaelards Philosoph: „Auch deren Autorität (gemeint sind die Propheten, B.G.) geben wir nicht einfach so nach, daß wir deren Aussprüche nicht mit der Vernunft überprüfen, bevor wir ihnen zustimmen. Andernfalls würden wir aufhören zu philosophieren, wenn wir offenbar die Untersuchung der Vernunftgründe hintansetzen und bevorzugt die Gemeinplätze der Autorität benutzen, die als unwissenschaftliche beurteilt werden und von der Sache selbst ganz und gar losgelöst sind, weil sie eher auf Meinungen als auf Wahrheit beruhen.“ (A.a.O., S. 113)

Gegen den Einwand, auch die menschliche Vernunft könne sich bisweilen irren, bringt Abaelard vor: „Aber dies widerfährt nur jenen Menschen, die der Erfahrung mit rationaler Philosophie und des Unterscheidungsvermögens für Argumente entbehren“. (A.a.O., S. 121) Bereits in der Einleitung zu seiner Toleranzschrift (Gespräche) stellt er die Aufgabe der Philosophie dar. Er läst den Philosophen als einen der Gesprächspartner sagen, dass es die genuine Aufgabe der Philosophie ist, mit Vernunftgründen die Wahrheit zu erforschen und in allem nicht der Meinung der Menschen, sondern der Führung der Vernunft zu folgen.“ (A.a.O., S. 9) Produktiv wird Abaelards Primat der Vernunft (vgl. S. 11, 111, 117) auf dem Gebiet des Glaubens in seiner Schrift: Sic et Non. Darin werden Bibelstellen und Meinungen der Kirchenväter, die sich widersprechen, gegenüber gestellt und dann mit Argumenten versucht, die vernunftgemäße Bedeutung, also die wahre Auffassung über die verhandelte Sache, herauszufinden.

Sprüche der Autoritäten, Gemeinplätze, Meinungen und Vorurteile haben „nichts Zwingendes“, sie können Menschen nicht überzeugen. Erst die geprüften Meinungen können überzeugen, erst aus ihnen können Handlungen erfolgen, die vor der Vernunft gerechtfertigt sind. Deshalb muss auch die christliche Lehre von der Vernunft überprüft werden. „Wenn Abaelard über die Kompilation einander widersprechender Stellen hinaus auch keine Lösungen im Sinne einer Vermittlung der Gegensätze präsentiert, so erhält dennoch die Dialektik hier zum ersten Mal implizit die Bedeutung einer Lehre vom Widerspruch: Wenn zwei entgegengesetzte dicta zu einem Gegenstand mit gleichem Anspruch auftreten, so können weder beide gleichzeitig und in derselben Hinsicht, noch nur einer allein wahr sein. Es ist vielmehr ein Drittes aufzufinden, in dem der Widerspruch gelöst ist. Darin erkannte Abaelard die Leistung des urteilenden menschlichen Intellekts, dessen Movens der Widerspruch im Gegebenen ist.“ (Mensching: Allgemeine, S. 141)

Nur etwas zu glauben, ohne es zu verstehen, ist für Abaelard „Wahnsinn“ (Gespräch, S. 19). Man kann nur das glauben, was durch die Vernunft bewahrheitet ist. Glauben und Wissen sind komplementäre Begriffe – im  Gegensatz zu heute, wo sie als Gegensätze gelten, seit die Religion sich als irrational erwiesen hat, also seit der Widerlegung der Gottesbeweise im Spätmittelalter. Anselm von Canterbury (1033-1109) mit seinen Gottesbeweisen aus Vernunft hat wider Willen, und Abaelard mit seiner Überprüfung der christlichen Überlieferung hat bewusst einen dialektischen Prozess in Gang gesetzt, der in den folgenden Jahrhunderten konsequent im Atheismus mündet.

Dennoch bleibt Abaelard in einem zentralen Aspekt der Theologie inkonsequent. Nach seinen nominalistischen Prämissen gibt es ontologisch nur Singularia, Universalien sind allein in mente, also nicht substanziell. Diesen Gedanken auf die Trinitätslehre angewandt muss es zu Problemen kommen, will die Philosophie nicht inkonsequent werden. Nach überkommener und dogmatisch abgesicherter Lehre besteht die Substanz Gottes aus drei Personen, „die in der Gottheit konsubstantial und gleichwertig sind“ (Mensching: Allgemeine, S. 101). Die Prädikation der Substanz Gott kann nach nominalistischer Lehre aber nicht selbst wieder substantiell sein. Entweder haben wir nach Roscelin, dem Lehrer Abaelards, dem er hierin folgt, drei substantielle Götter, was dem christlichen Dogma widerspricht und das zu behaupten offene Häresie wäre, oder wir haben einen Gott, dann können aber die drei Personen nicht konsubstantial sein, sondern bestenfalls unwesentliche Eigenschaften des einen Gottes – was ebenfalls der christlichen Trinitätslehre widerspräche.

Abaelard zieht sich aus der Affäre, diesen Widerspruch auf dem Boden seiner Philosophie zu lösen, indem er auf den bloßen (also unvernünftigen) Glauben verweist, der nach seinen eigenen Bestimmungen „Wahnsinn“ ist. Er lässt seinem „CHRIST“ sagen: „Wenn du die Akzidenzien und die diesen zugrunde liegenden Substanzen unterscheidest und dich den Worten der philosophischen Lehre zuwendest, ermisst du nur die Dinge, die zum irdischen Leben, nicht zum himmlischen gehören“ (Gespräch, S. 217). Und Abaelard als Autor der Ethica stimmt ihm zu. Man kann zwar niemand dafür bestrafen, wenn er Jesus als Gottessohn leugnet, denn: In diesem Fall kann ja keine Verachtung Gottes festgestellt werden, wenn ein Mensch der Wahrheit aus Irrtum widerspricht und er nicht gegen das Gewissen handelt, besonders deswegen, weil es sich hier um eine Wahrheit handelt, die mit dem menschlichen Verstand nicht ergründet werden kann, sondern die ihm eher zu widersprechen scheint.“ (Ethica, S. 121) Aber Abaelard hält in diesem Fall an der „Wahrheit“ der Trinitätslehre fest, obwohl sie der Vernunft widerspricht. Diese Inkonsequenz ist der Zeit geschuldet, in der das Christentum noch das alles beherrschende Denken darstellte. Den Schritt zum Atheismus aufgrund des widersprüchlichen Gottesbegriffs zu gehen, war erst den englischen und französischen Aufklärern im 17. und 18. Jahrhundert möglich.

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Letzte Aktualisierung:  08.09.2009